Der Gebrauchsgrafiker (Berufsbild)
„Wenn Werbung überhaupt etwas spiegelt, dann die Hirninhalte der Macher“[75]: so scharf urteilt Christiane Schmidt über Werbeschaffende - ob dies tatsächlich zutrifft, sei dahingestellt. Vielleicht nehmen die Kreativen der Werbung auch einfach nur den sich entwickelnden Zeitgeist, der sich in der Bevölkerung abzeichnet, schneller wahr.
Berühmte Maler als Gebrauchsgrafiker
Während Maler wie Egon Schiele (1890-1918)[76], Gustav Klimt (1862-1918)[77] und Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901)[78] gewissermaßen die Heroen der „Plakatkunst“ darstellen und nahezu allgemein bekannt sind, fristen die meisten „Gebrauchsgrafiker“ ein Schattendasein.
Ein Beruf entsteht - vom Buchdrucker und Plakatmaler zum Gebrauchsgrafiker
Der Beruf des Gebrauchsgrafikers, ebenfalls Werbegrafiker genannt, ist erst im frühen 20. Jahrhundert etabliert worden. Bis dahin waren zumeist Buchdrucker mit dem Entwerfen der Textplakate, Bücher Geschäftskarten und Weiterem beschäftigt.[79]
Notwendig wurde diese Ausbildung durch das Einsetzen der Lithographie im Bereich der Werbung, die dem Textplakat zusehends Konkurrenz bot.[80]
Oftmals wiesen die Plakate dieser Übergangszeit aber keinerlei Bezug zu den beworbenen Produkten auf, sondern zeigten eben nur dekoratives Beiwerk, zumeist in Form von Frauenallegorien, wie gut anhand einer Reklame für ein Unterwäschegeschäft (Abb. links) zu bemerken ist.
Seit ungefähr 1850 wurden Zeichner und Maler eingesetzt, um Plakate oder Inserate zu gestalten. Um dem neuen und nun massenhaft genutzten Medium gerecht zu werden, bedurfte es jedoch noch versierteren Personals. Arbeiten für Kunden im deutschsprachigen Raum entstanden nun in „euphorisch“ sogenannten „Kunstanstalten“, wie sie beispielsweise 1908 „Lautert und Schneidewind“ (Abb. links) in Dresden betrieb.
Ein Plakat von Otto Fischer von 1896 bewirbt eine weitere „Kunst – Anstalt für Moderne Plakate“ (Abb. links), auf welchem ein älterer Drucker mit einer jüngeren Frau gerade ein Plakat im Stil des Jugendstils betrachten. 1901 rühmen sich Hollerbaum & Schmidt (Abb. links), in Berlin ansässig, mit Künstlern, die „moderne Plakate“, also Sachplakate, für Kunden entwerfen würden.
Einer der sich auskennt - der Gebrauchsgrafiker, ein Handwerker
Plakate wurden jedoch zunehmend differenzierter hergestellt, so dass unterschiedliche Berufsfelder wie Drucker und Setzer zum Einsatz kamen. Der Gebrauchsgrafiker überwachte letzten Endes den gesamten Prozess der Herstellung. Wesentlich beigetragen zu dessen Berufsentwicklung haben etwa die „Arts and Crafts“ Bewegung in Großbritannien oder der „Deutsche Werkbund“. William Morris (1834-1896)[81] in Großbritannien und Peter Behrens (1868-1940)[82] waren Verfechter eines übersichtlicheren Stils für Produkte wie auch der Grafik.[83] Ästhetisch, aber nicht überladen von Zierrat vergangener Epochen, sollte ein Plakat sein.[84] Eine Vielzahl an Publikationen im deutschen Raum erschien ab 1900, worunter viele von Handelsschulangestellten publiziert wurden. Der Höhepunkt dürfte in den 1920er Jahren erreicht worden sein.[85] Unterschieden vom Grafiker, einem Künstler, ist der Gebrauchsgrafiker schon vor dem Ersten Weltkrieg in Erscheinung getreten.[86]
Gebrauchsgrafiker: „[…], arrangierten und reproduzierten in immer neuen Variationen Motive, Figuren, Bilderfindungen.“[87]
Im engeren Sinne waren diese demzufolge nicht als Künstler, sondern als Handwerker anzusehen.
Akademien öffnen sich dem neuen Fach Plakat-Gestaltung
Ab 1903 war im Deutschen Reich an Kunstgewerbeschulen Reklamekunst Teil der Unterrichtsgestaltung.[88]
Im Bericht: „[…] über männliche Fortbildungs- und Gewerbeschulen […]“[89] in München von 1908 wird über die Pranckhschule und den Unterricht für deren Schüler, der grafischen Abteilung, vom Schuljahr 1906/1907 folgend berichtet: „Die grafische Abteilung strebt das Ziel an, die im Berufe erworbenen praktischen Kenntnisse der Schüler durch einen Unterricht, welcher Fachtheorie mit der Praxis verbindet, zu erweitern und zu vertiefen und zugleich die Schüler zu größerem technischen Können und zu einem gewissen künstlerischen Auffassen und zu künstlerischer Durchbildung zu erziehen, sie zu führenden Kräften des grafischen Gewerbes herauszubilden. Zur Ergänzung des theoretischen Unterrichts stehen die Lehrwerkstätten mit den neuesten Einrichtungen, Werkzeugen und Maschinen zur Verfügung.“[90]
Interessensvertretung BÖG Bund österreichischer Gebrauchsgrafiker
1919 konstituierte sich der „Bund deutscher Gebrauchsgrafiker“.[91] In Österreich schlossen sich 1927 die Gebrauchsgrafiker im „Bund österreichischer Gebrauchsgrafiker“, dem „BÖG“, zusammen, welcher ab 1985 „Grafik Design Austria“, „GDA“, hieß und seit 1992 sich nur noch „Design Austria“, „DA“, nennt.[92] Der „BÖG“ sah 1929 die Aufgabe eines Gebrauchsgrafikers darin, als Künstler das „Schaffen“ mit Phantasie und Inspiration einem Zweck (Auftrag) unterzuordnen.
Anforderungen an einen Gebrauchsgrafiker - darf er Künstler sein?
Da sich Mentalitäten stets wandeln, müsse der Grafiker psychologisch, philosophisch und stilistisch versiert sein. Im Gegensatz zu einem Maler könne er eben nicht stets der eigenen Neigung nachgehen.[93]
Einen guten Einblick in die Welt der Gebrauchsgrafiker von 1949 bietet der in Wien arbeitende Wilhelm Donnhofer in seinem Lehrwerk.[94]
Visuelle Kommunikation ist Bildsprache und demzufolge nicht leicht zu fassen. Ob es hohe Kunst oder angewandte Kunst ist, steht zur Debatte.[95] Als freischaffender oder meist angestellter „Handwerker“ in einem Atelier soll der Werbegrafiker schnell und modern, das bedeutet im Regelfall gesellschaftskonforme, gefällige Produkte abliefern.
Im Gegensatz hierzu wird bei einem Künstler gerne von einem gewissen Genie und Inspiriertem, oft auch Unverstandenem gesprochen, der auch Züge eines Wahnsinnigen in sich tragen darf.[96] P. W. Hartmann definiert 1996 die Gebrauchsgrafik mit:„Gebrauchsgrafik, Graphik-Design, über den künstlerischen Zweck hinausgehende, sogen. angewandte → Graphik. Hierbei werden unter Anwendung druckgrafischer Techniken mit Hilfe von Schrift, Farbe und Form Information weitergegeben. Vor allem dient die G. der Werbung. […]“[97]
Karl Pall zitiert in seiner Dissertation[98] Reinkenhof, dass es sogar zur Aufgabe des Gebrauchsgrafikers gehöre: „[…] Elemente des künstlerischen in lange brachgelegene Gebiete, ja in sogar unberührtes Neuland zu tragen.“[99]
Gebrauchsgraphiker, Gebrauchsgrafiker, Grafik-Designer ....
Die Bezeichnung Gebrauchsgrafiker wird heute fast nicht mehr verwendet - es ist vielmehr ein „Grafik-Designer“ daraus geworden, der selbständig oder in einer Werbeagentur arbeitet.[100] Grafik-Designer erledigen nicht nur Werbeanzeigen auf Plakat, in Magazinen oder anderen Trägern, sondern sind oft ebenfalls für das ganze einheitliche Erscheinungsbild, das „corporate design“ eines Kunden zuständig, welchen seit den 1960er Jahren neue, oft auf Kundenumfragen basierende Marketingkonzepte[101] zugrunde liegen.
Das heutige Grafik-Design[102], wie damals die Gebrauchsgrafik, ist das Aufgabenfeld des Grafikers - er hat die Aufgabe der „visuellen Kommunikation“ mit dem Betrachter herzustellen.[103]
Der Begriff Grafik-Designer ist in Österreich gesetzlich nicht geschützt (was vielleicht die mindere Qualität der ein oder anderen Arbeit eines sich so bezeichnenden „Designers“ erklärt).
Autor: Matthias Bechtle, Wien.
Zitierweise: Bechtle, Matthias, Heinz Traimer DA m.s., Universität Wien 2012, S. 18-20.
[75] Zitat nach Christiane Schmidt von 1992. In: Lechner 2000, S. 64.
[76] Vgl. Lexikon-Eintrag in: Altmann (Hg.) 2004, S. 542.
[77] Vgl. ebenda, S. 319.
[78] Vgl. ebenda, S. 594.
[79] Vgl. Lewandowsky 2006, S. 17.
[80] Vgl. Kriegeskorte 1995, S. 32.
[81] Vgl. Hartmann 1996, S. 1030.
[82] Vgl. ebenda, S.185-186.
[83]Architekt und Grafiker Behrens gilt als einer der ersten großen Designer, des Industriedesigns und gestaltete für die deutschen AEG-Werke zahlreiche Produkte wie auch den Auftritt nach außen hin.
[84]Hierzu Lewandowsky 2006, S. 23-24.
[85] Über 200 Bücher standen 1923 Leihnehmern in der Berliner Bibliothek des VDR in Berlin zur Verfügung. Darunter befanden sich zahlreiche Bücher über Plakatgestaltung, Inseratenwerbung und ausländische Märkte. Dazu kamen noch einige Schriftmuster. In: Vgl. Dolge 1923, S. 103-123.
[86]Kamps 1999, S. 19.
[87]Ebenda, S. 19.
[88] Vgl. Zankl 1969, S. 42.
[89] Alois Senefelder Berufliches Zentrum (Hg.) 2005, S. 103.
[90] Ebenda, S. 12.
[91] Lexikon-Eintrag „Grafik“, Varnhorn (Hg.) 2001, Band 7, S. 107.
[18] Zur Geschichte von „DA“ vgl. Homepage DA: http://designaustria.at/ueberuns/geschichte . 2010. Ebenfalls zur Geschichte des BÖG und Grafik-Design in Wien um 1930: Christian Maryska, „internationales niveau – Grafikdesign und Werbewirtschaft um 1930“ in: Kos 2010 (S. 184-189).
[92] Vgl. Libesny 1929, S. 14.
[93] Donnhofer, Wilhelm, Plakate, Wien 1949.
[94] Vgl. Lewandowsky 2006, S. 9.
[95] Vgl. Zembylas, Tasos, Kunst oder Nichtkunst Wien 1997, S. 105-109.
[96] Hartmann 1996, S. 531.
[97] Pall, Karl, Diss. Das Plakat als Kunst- und Werbemedium. Historie, Positionierung, Gestaltung, Wirkung, Empirie. Universität Wien 1987.
[98] Ebenda, S. 119.
[99] Vgl. Kamps 1999, S. 21.
[100]Ebenda, S. 21.
[101] Oder auch sehr modern „graphic-design“ genannt.
[102] Vgl. Lewandowsky 2006, S. 8.