Die 1950er und 1960er Jahre - ein Sittenbild der Gesellschaft
Ein nackter Busen wiegt schwerer als der Tod von Millionen
Noch 1951 schien vielen deutschen Bürgern nach dem gerade erlebten Massenmord im Weltkrieg, der Auslöschung ganzer Städte und dem Tod von geschätzten 60 Millionen Menschen ein nackter (Hildegard) Knef-Busen gefilmt aus 10 Metern Entfernung als Untergang deutscher Kultur und Werte.[315]
Eine entwurtzelte Gesellschaft sucht Halt
Um 1950 waren viele deutsche Männer noch in Kriegsgefangenschaft und Heimkehrer konnten oftmals nicht über das Geschehene sprechen oder reagierten gar mit Gewalt in der Familie auf die Traumata. Die Nazi-Ideologie vom arischen Vater und der fruchtbaren Hausfrau-und-Mutter war noch präsent.
Viele Eltern hatten ihre Kinder verloren. Frauen zogen die durch den Akt der Vergewaltigung entstandenen Kinder groß und wurden dafür sogar noch gesellschaftlich verachtet.
Die neue Prüderie - trautes Heim Glück allein
Sexualität wurde zum absoluten Tabu, nicht zuletzt aufgrund der durch psychische Ursachen verursachten Impotenz vieler Männer oder den vollzogenen nicht ehelichen Liebschaften in Abwesenheit eines Partners.[316] Erschwerend kam zu diesen Umständen dazu, dass Geschlechtskrankheiten kaum heilbar waren und ungewollte Schwangerschaften an der Tagesordnung standen.
Verhütungsmittel wie Kondome waren noch spärlich verfügbar und großenteils nicht sicher, die Pille kam erst 1960 in den USA auf den Markt.[317]
Infolgedessen nahm die Bevölkerung dankbar die „Heile-Welt-Filme“ auf und zog sich ins Private zurück.[318] Frauen wurden zunehmend aus den Arbeitsplätzen gedrängt, die durch die Abwesenheit der Männer im Krieg entstanden waren, und hatten dann eine reine Versorgungsfunktion für den Haushalt zu erfüllen. So konnte erstens die große Arbeitslosigkeit bekämpft werden und zweitens das noch schmale Einkommen der Familie durch die „Verwalterin des Geldes“, sprich Hausfrau-und-Mutter, optimal genutzt werden. Die „Supermutti“ war letztlich in der „Handhabung“ für Männer praktischer als ein „Pin-up-Girl“.[319] Blütenweiße gestärkte Hemden, echter Bohnenkaffee, ein Sonntagsbraten und Kühlschrank waren die erstrebenswerten Ziele dieser ersten Nachkriegsjahre.
Massenware für die Massen - der Beginn der Überfluss-Gesellschaft
Mit zunehmendem Wohlstand in den demokratischen Ländern Westeuropas konnte der „american-way-of-life“ Einzug in die Haushalte nehmen und die Gesellschaft veränderte sich rasant. Was war geschehen? In den Vereinigten Staaten und ein paar Jahre später in Großbritannien und Deutschland war mittlerweile eine selbstbewusste Generation junger Menschen herangereift, die aus einem gesättigten Konsum-Markt wählen konnte, was gefiel.
Begehrten Bürger noch 1955 Konsumprodukte, so war es Ende der 1960er Jahre oftmals umgekehrt, und ein Produkthersteller wollte unter massivem Werbeeinsatz dem Konsumenten ein Produkt verkaufen.[320]
Krach statt Musik - die Beatles in Österreich
Rockmusiker wie die Rolling Stones oder Beatles vermittelten neue musikalische Erfahrungen und präsentierten scheinbar ungebändigte Konzert-Auftritte, die durch Boulevard-Medien-Berichterstattung über „Hysterie bei Fans“ noch verstärkt wurden. 1965 erlebten die Beatles bei einem Film-Dreh in Österreich noch zahlreiche Anfeindungen, während die Musiker in Großbritannien bereits von Königin Elisabeth II. ausgezeichnet wurden.[321]
Jungmänner und Fräuleins werden zu Teenagern
Das Fernsehen (TV) löste zunehmend das Kino ab, Tageszeitungen Magazine, Bücher und Jugendhefte überschwemmten den Markt. Seit 1956 klärte das deutsche Jugendmagazin „Bravo“ die Jugendlichen über Musik, Sexualität, Mode und selbstredend Konsumartikel auf – was bei der allgemeinen Bigotterie jener Jahre, die teils bis heute andauert, auf Widerstand seitens der Eltern stieß.
Die Pille der Lust und Geschlechtsverkehr im Weltall
1960 kam in den USA das Empfängnis-Verhütungsmittel, vulgo „Antibaby-Pille“, auf den Markt und erlaubte Käuferinnen eine selbstkontrollierte freiere sexuelle Entfaltung.
Gleichzeitig wurden sogenannte „Sexbomben“ also Schauspielerinnen nun sinnlicher als es die kühlen Hollywood-Diven der 1930er Jahre je waren.[322] Nun konnten Frauen entscheiden, ob sie zu Hause bleiben wollten, als 1962er James Bond-Girl[323] wie Ursula Andress, eine fleischgewordene erotische Männerphantasie, aus den Fluten des Meeres steigen oder sogar im Weltall umherreisen sollten, um sich dort wie „Barbarella“ über Geschlechtsverkehr aufklären zu lassen.[324]
Studenten übernehmen die Führungsrolle der Jugendrevolution
In den 1960er Jahren bedeutete der „Kalte Krieg“ einen zuspitzenden Konflikt der Lebensanschauungen, und einige Jugendliche begannen sich gegen das noch recht autoritäre Lebensmodell der Eltern beziehungsweise deren Konsumdenken aufzulehnen, was vereinfacht dargestellt zu Studentenprotesten (die „68“) geführt haben mag.[325] Große Teile der Jungerwachsenen, allen voran diejenigen, die aufgrund ihres Prestiges gehört wurden, also Studenten, ließen sich auf neue Beziehungsmodelle ein (Kommune) und verstärkten noch den ohnehin bestehenden Trend des freizügigeren Umgangs in Bezug auf Sexualität.[326]
Uni-Ferkeleien und Männern an der Leine
In Wien wusste man spätestens seit der 1968 stattgefundenen „Uni-Ferkelei“ im Hörsaal 1 der Universität Wien, bei der verschiedene „Künstler“ aktionistisch handelten, dass „etwas“ geschehen war, was sich nicht mehr zurückdrehen ließ.[327]
Mit einer Pappschachtel, in die vorderseitig zwei Löcher eingeschnitten waren und das als Kleid fungierte (Tapp- und Tast-Kino), forderte die österreichische Künstlerin Valie Export in den 1960er Jahren Wiener Passanten auf, ihre Brüste zu berühren. 1968 folgte ein Stadtspaziergang, bei dem Export einen Mann, der wie ein Hund an einer Leine mit Halsband versehen war, durch die Straßen der Bundeshauptstadt führte.[328]
Von der vollbusigen Marylin zum Hungerhaken Twiggy
Luxusartikel wie Mode wurden Ende der 1960er Jahre mit einem neuen Frauentypus, dem androgynen, mageren Modell, wie es wohl am besten die Britin „Twiggy“ verkörperte, beworben. Die braven Zöpfe der BDM-Mädchen in ihren über Knie reichenden Röcken waren einem Pagenkopf oder Hochsteckfrisur, Minirock und Hose gewichen. Vollbusige Frauen mit Schmollmund wie Marilyn Monroe waren passé.[329]
Text: Matthias Bechtle, Wien 2012.
Zitierweise: Bechtle, Matthias, Heinz Traimer, Diplomarbeit Universität Wien 2012, S. 59-61.
[315] Der Film „Die Sünderin“ (1951) löste einen Sturm der Entrüstung aus, da aus der Ferne eine Nacktszene mit Knef zu sehen ist. Hierzu. Roek 2009, S.97-102.
[316] Hierzu sei empfohlen: Eder, Franz-Xaver, Kultur der Begierde – eine Geschichte der Sexualität, München 2009.
[317] Das „Museum für Verhütung & Schwangerschaftsabbruch“ in 1150 Wien bietet einen fundierten Einblick in diese Jahre.
[318] Heimatfilme, in denen Frauen oft wie kleine „Dummerchen“ dargestellt werden und deren einziges Ziel ist einem Mann den Haushalt zu machen. Meist spielten diese Filme am Land und verarbeiteten historische Themen wie die berühmte „Sisi“ Trilogie zeigt, in der Romy Schneider weltbekannt wurde. Hierzu: Sonja Sadounig, Das österreichische Filmplakat Ein Einblick in die österreichische Kinokultur von 1945-1955, D.A. m.s., Universität Wien 2009.
[319] Zur Hausfrau versus „Sexbombe“ Roland Girtler „Der Reiz der Sexbombe und der Charme der jungen Mädchen“ (130-147), in: Etzlstorfer/ Schallaburg Kulturbetriebsges. m.b.H (Hg.) 2010.
[320] Vgl. Karin Knop, „Zwischen Afri-Cola-Rausch und dem Duft der großen weiten Welt: Werbung in den sechziger Jahren“ (241- 271) S. 241-243. In Faulstich 2003.
[321] Vgl. Hannes Rossacher „Popmusik killed the Schlagerstar – Wie der Pop nach Österreich kam“ (338-349) S. 339, in: Etzlstorfer/Schallaburg Kulturbetriebsges. m. b. H (Hg.), die 60er, Beatles, Pille und Revolte, Schallaburg 2010.
[322]Hannes Etzlstorfer „Der Menschheit neue Grenzen setzen…“ (10-21) S. 16. In: Etzlstorfer/Schallaburg Kulturbetriebsges. m.b.H (Hg.) 2010.
[323] 007 James Bond jagt Dr. No.
[324]Kinofilm „Barbarella“ von 1968 mit Brigitte Bardot.
[325] Über die zunehmenden Proteste aufgrund der Nichtaufarbeitung der NS-Zeit: Knut Hickethier „Protestkultur und alternative Lebensformen“ (11-30) S. 11-15, in: Faulstich (Hg.) 2003.
[326] Vgl. ebenda, S. 24-25.
[327] Die Künstler lasen Manifeste vor, urinierten, onanierten oder ließen sich auspeitschen. Vgl. hierzu: Alexandra Schantl, „Kunst und Revolution – Der Wiener Aktionismus“ (276-283) S. 282-283, in: Etzlstorfer/Schallaburg Kulturbetriebsges. m. b. H (Hg.), die 60er, Beatles, Pille und Revolte, Schallaburg 2010.
[328] Vgl. Text und Foto in: Schantl 2010, S. 290 -291.
[329] Zur Mode und Kleidung der 1960er Jahre vgl., Regina Karner „Vom Minirock zum Hippielook“ (178-192), in: Etzlstorfer/Schallaburg Kulturbetriebsges. m. b. H (Hg.), die 60er, Beatles, Pille und Revolte, Schallaburg 2010.